STÜCK PLASTIK

von Marius von Mayenburg

mit: Helwig Arenz, Christoph Schüchner, Barbara Seifert, Lena Stamm und Thomas Witte

Bühne und Kostüme: Christian Vittinghoff

Premiere am 18. JANUAR 2017 im Gostner Hoftheater Nürnberg

Empathie kannst du vergessen. Plastik rocks.

„Stück Plastik“ von Marius von Mayenburg
Von Julia Opitz – Jan 21, 2017
kunstnuernberg.de

In Marius von Mayenburgs Stück Plastik, das am 18. Januar 2017 im Nürnberger Gostner Hoftheater in der Regie von Stephan Thiel Premiere hatte, wird Plastik groß gefeiert.

Innerlich wie äußerlich hat das namensgebende Material symbolhafte Bedeutung: Nicht nur Plastikteller und Plastikbesteck, Plastiknudeln und Plastikschüsseln (Ausstattung und Bühne: Christian Vittinghoff) werden bei Ulrike (Barbara Seifert), Assistentin des Konzeptkünstlers Serge Haulupa und Micheal (Christoph Schüchner), Chirurg mit überaus großer musikalischer Begabung und noch größeren Selbstzweifeln, Abend für Abend feinsäuberlich als Palast des Friedens installiert. Auch scheinen die fünf Seelen, die hier im Heim des gut situierten Ehepaares aufeinandertreffen einsam plastikhaft im eigenen Selbst gefangen.

Ulrike und Michael sind überfordert. Der Alltag, die viele Arbeit, ihr Sohn Vincent. Und überhaupt: zu viel teure Kleider, die man aussortieren muss, eine polnische Putzkraft, die auf Grund von schlechten Deutschkenntnissen lieber wieder gekündigt wird, Bio-Wahn und so weiter.

Mit großer Präzession und kluger Stilisierung zeichnen Seifert und Schüchner ein völlig überspanntes Paar, für das emotionale Nähe längst ein unerreichbares Konstrukt geworden ist.

Lieber gucken Ulrike und Michael weg und instrumentalisieren ihre neue Putzkraft Jessica Schmidt (Lena Stamm) – eine Deutsche aus Halle – als Ventil für angestaute Frustration, versteckte Neurosen, unerfüllte Sehnsüchte und tiefe Verbitterung.

Und Sohn Vincent, 12 Jahre jung, ist ja sowieso unerreichbar in seiner eigenen kleinen Welt gefangen, in der seine Handykamera und die Suche nach einem anderen, reiferen Ich die Hauptrollen spielen. Da muss man sich ja erst gar nicht um das eigene Kind bemühen.

Wunderbar zeichnet Helwig Arenz diese Kindesrolle mit einer skurrilen Körperlichkeit und emotionalen Gebrechlichkeit, sodass es beim Zuschauen amüsiert und wehtut zugleich. Nur Jessica gelangt zu Vincent vor, manchmal.

Nichts kann die junge, souveräne Frau aus dem Konzept bringen, nicht die ständige, versteckte Diskriminierung auf Grund ihrer Herkunft und Tätigkeit, nicht die massiven Eingriffe in ihre Privatsphäre durch Ulrike und nicht die bitterbösen Worte des Künstlers Serge Haulupa, der den scheinbaren mittelständischen Familienfrieden durch seine Besuche regelmäßig bewusst auf die Probe stellt.

Unglaublich gerne sieht man Lena Stamm dabei zu, wie sie ihrer Figur eine schwelende Ruhe gibt und als Jessica nach und nach von innerer Souveränität profitiert, während alle um sie herum in ihrer eigenen Fragilität zu ersticken drohen.

Und Künstler Serge, den Thomas Witte mit großer, ironisierender Spielfreude verkörpert, hat während der regelmäßigen gemeinsamen Abendessen (aus Plastik) nichts Besseres zu tun, als seine Mitmenschen durch seine pseudo-kritischen Reflexionen über global-politische Weltzusammenhänge verbal zu erdrücken.

Dabei realisiert er selbstverständlich nicht, dass seine scheinbar progressiven künstlerischen Ideen einfallslos unpolitisch und seine Worte durch und durch von Floskeln ummantelt bleiben.

Marius von Mayenburg, der die Uraufführung seiner bitterbösen Komödie „Stück Plastik“ an der Berliner Schaubühne im April 2015 selbst realisierte, entwirft ein zynisch kluges, politisch debattierendes Wortgewitter und schafft es mit seiner sprühenden Sprachlichkeit, Figuren zu zeichnen, die voller größerer Skepsis und (Selbst-)Zweifel nicht sein könnten.

Stephan Thiel wiederum macht die im Text angelegte menschliche Fragilität zum Kern seiner Inszenierung und geht dabei äußerst humorvoll mit Affektiertheit , Künstlichkeit und Übermut genauso aber mit Emotionalität und Schwäche um.

Seine Figuren scheinen so sehr in sich gefangen, dass man sie von der Bühne holen und durchschütteln möchte.