von Felicia Zeller
mit: TILLA KRATOCHWIL, CHRISTOPH SCHÜCHNER, JARON LÖWENBERG
Ausstattung: HALINA KRATOCHWIL
Assistenz: JULIA OTTEN
Premiere am 5. APRIL 2013 im Theater unterm Dach Berlin
X-FREUNDE wurde auf www.NACHTKRITIK.de unter die besten zehn Inszenierungen des Jahres
2013 gewählt, war für den „Friedrich Luft – Preis 2013“ nominiert und wurde zum 48. Dimitria –
Festival nach Thessaloniki/ Griechenland eingeladen
Immer einen Zacken zu hastig
Von Christian Rakow
Die endgestressten „X-Freunde“ von Felicia Zeller treffen sich im Berliner Theater unterm Dach. Und reüssieren
Am Rande des Nervenzusammenbruchs sieht es auf schlimme Weise vertraut aus: Die Kreativen tänzeln von Projekt zu Projekt, das Telefon immer im Anschlag. Keine Pause auf Twitter, keine Zeit für Kinder. Noch im Urlaub – dem ersten seit Jahren – geben sie lieber dem Assistenten eine To-Do-Liste durch, anstatt am Strand in Ruhe mit dem Partner zu kuscheln. „Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist“, sagen sie. Drei Workaholic-Köpfe lässt Felicia Zeller in ihrem High-Speed-Text „X-Freunde“ rauschen, der im kommenden Monat bei den Mülheimer Theatertragen um den Dramatikerpreis für das beste neue Stück des Jahres konkurrieren wird.
Da ist Peter, der Bildhauer, der mit seiner Skulpturen-Serie „X-Freunde“ gerade noch reüssiert, doch schon bald registrieren muss, wie der aufstrebende Nachwuchs in Kassel an ihm vorbei zieht. Holger hat seine Catering-Firma wegen eines Lebensmittelskandals verloren und klammert sich nun arbeitslos an seine Partnerschaft. Um die ist es allerdings nicht gut bestellt, weil seine Frau Anne gerade eine Unternehmensberatung für Entwicklungshilfeprojekte gegründet hat und also permanent auf Achse ist.
Wie stets bei Zeller sind nicht nur die Figuren auf Achse, sondern auch ihre Sprache. Immer einen Zacken zu hastig werden Redehülsen zur Rampe geworfen, wobei unterwegs meist die Verben verloren gehen: „Das ist schade, dass wir beide uns nur noch so selten …“ Keine Zeit für ordentliche Satzschlüsse. Wie eine Stimmenimitatorin greift Zeller in unsere Epoche der Ich-AGs und Freiberufsakrobatik hinein und formt sich ihren urkomischen Diskurs-Mix, der so herrliche Worte wie etwa „Komm-doch-mal-auf-einen-Espresso-vorbei-ich-bin-schon-da-Agentur“ kennt.
Wie viel szenisches Potenzial dabei in diesen Zeller’schen Sprechopern steckt, kann man jetzt in Stephan Thiels wunderbar leichter, phantasievoller Inszenierung des Stücks am Theater unterm Dach erleben. Vor einem weißen Lore-Standregal nehmen Tilla Kratochwil als Anne im Dauerstress, Christoph Schüchner als prächtiger Schluffie Holger und Jaron Löwenberg als abgerockter Künstler Peter das Tempo des Textes tänzerisch auf. Und doch wird der Abend aus seiner Komik heraus in überaus berührende Momente einer bröckelnden Beziehung münden. Apropos Momente: Eine derart zarte a-kapella Variation von Kraftwerks „Autobahn“ wird man vielleicht auch so schnell nicht wieder hören. Und das waren nur zwei von neunzig starken Minuten. Berliner Zeitung, 8. April 2013
„Gestresst zu sein, ist nichts weiter als ein modischer Euphemismus für einen schlecht gelaunten, müden und aggressiven Menschen WIR WARTEN! HALLO!“
Stephan Thiel zeigt Felicia Zellers neues Stück „X – Freunde“ im Theater unterm Dach Berlin
Felicia Zellers Figuren stehen ständig unter Strom. Es scheint, als müssten die Schauspieler bei einem Schnellsprechwettbewerb reüssieren, und nicht am Theater, für das Zeller ihre Charaktere aus dem prallen Leben immer wieder direkt auf die Bühne katapultiert. Da tummeln sich dann biertrinkende Frauen, gestresste Mütter wollen ihre Au-pairs heiraten oder drei überforderte Sozialarbeiterinnen verzetteln sich in groteskem Sozialamtsdeutsch. Am liebsten nimmt sich die in Stuttgart geborene und seit einigen Jahren in Neukölln lebende Autorin aber die alltäglichen Klischees aus dem eigenen Umfeld vor und verwurstet diese in anarchisch komischen Kolumnen wie „Einsam lehnen am Bekannten“. Eine Auswahl daraus gab es 2011 am Ort ihres Entstehens im Heimathafen Neukölln zu sehen.
Zellers Stücke sind im wahrsten Sinne des Wortes dreidimensionale Gebilde, wie sie selbst es formuliert. Bühnenraum, Körper und Sprache ergeben dabei im besten Falle eine untrennbare Einheit, was den Schauspielern auch immer einiges an Körperbeherrschung abverlangt. Anfang Oktober 2012 wurde Felicia Zellers vom Schauspiel Frankfurt/M. in Auftrag gegebenes Stück „X Freunde“ ebenda uraufgeführt. Wieder ein extrem schnelles Sprachgebilde über eine typisch deutsche Sozialkrankheit, der schier unheilbaren Sucht nach Arbeit, befördert durch einen ständigen Kreativzwang und unbegrenzt freiwillige Selbstausbeutung. Das Stück ist zu den im Mai stattfindenden Mülheimer Theatertagen eingeladen. Allen, die nicht nach Frankfurt/M. fahren können oder nicht bis zum Juni warten wollen, wenn die Inszenierung bei den Autorentheatertagen im Deutschen Theater Berlin gastiert, sei das Berliner Theater unterm Dach wärmstens empfohlen. Dort hat Regisseur Stephan Thiel nach seiner gefeierten Inszenierung von „Kaspar Häuser Meer“ auch das neueste Stück von Felicia Zeller auf die kleine Bühne unter dem Dach des kommunalen Kulturzentrums an der Danziger Straße gebracht.
Mit von der Partie ist wie schon in „Kaspar Häuser Meer“ die quirlige Tilla Kratochwil als Unternehmensberaterin Anne, die nach der Kündigung ihre eigene Agentur „Private Aid“ gegründet hat, und nun die Politik mit neuen Ideen für „Wege aus der Gleichgültigkeitskrise“ versorgen will. An ihrer Seite hat Christoph Schüchner als Ehemann Holger und ehemaligem Betreiber eines Pleite gegangen Cateringservices keinen leichten Stand. Als beider Freund und Bildhauer Peter hadert Jaron Löwenberg mit sich und dem fordernden Kunstbetrieb. Seinem Projekt „x Freunde“ fehlt der krönende Abschluss für die bevorstehende Ausstellung in Schwaden-Schwaden. Ein riesiger Stein-Monolith steht in seinem Atelier und wartet auf die finale Idee des Künstlers, den ultimativen letzten Freund.
Diese drei Charaktere stehen stellvertretend für ein zum ständigen Erfolg verurteiltes Kreativprekariat, very busy und immer auf dem Sprung. Keine Zeit mehr für eine Pause, man ist ja schließlich kein Schokoriegel aus der Werbung und schon gar nicht in einer dieser Komm-doch-mal-auf-einen-Espresso-vorbei-Ich-bin-schon-da-Agenturen. Für ein Bier oder einen Kaffee unter Freunden bleibt da kaum noch Zeit. Das ehemalige Trio aus dem Café Tasse, schwärmt sentimental in Erinnerungen an alte Zeiten. Längst lebt man nur noch für die Arbeit, oder sucht verzweifelt nach Auswegen aus der Schaffenskrise.
Während sich Anne in ihrem wichtigen Projekt mehr und mehr zum völligen Kontrollfreak entwickelt, lenkt sich Peter mit Internet, Twitter und anderen „privatberuflichen“ Dingen ab. peter.pilz@pilzpeter.de, immer präsent und aktiv um Aufmerksamkeit heischend. Ständige Nachfragen der Kuratorin, jeder Anruf und jede noch so kleine Störung reißen ihn immer wieder aus dem Kreativprozess. Geradezu an Aufmerksamkeitsdefiziten leidet der unterbeschäftigte Holger. Unfähig mit der neuen Freiheit umzugehen, bekocht er seine Frau und sieht ihren Erfolg mangels eigener Ideen als sein Projekt. Verzweifelt trägt er sogar Baumarktbesuche als Geschäftstermine ein. Ein ertrotzter gemeinsamer Urlaub mit Anne auf einer Sonneninsel wird zur Katastrophe.
Felicia Zellers hyperventilierenden Text setzen die drei Schauspieler im Theater unterm Dach in kongeniale Bewegung um. Sie treiben zum Beat der Sprache den Wahnsinn auf die Spitze. In gekonnten Soloeinlagen wird der biegsame, flexible Mensch beim Meistern der alltäglichen Stresssituationen performt. Das Bühnenbild von Halina Kratochwil mit dem unendlich variablen Stapelregal lässt sich wunderbar den einzelnen Spielszenen anpassen. Es ist hippes Wohnaccessoire, Weinregal und Skulptur, zeigt den in sich gefangenen Künstler Peter und ist Bahre für Holger. Zur Untermalung gibt es passender Weise wunderbare A-cappella-Versionen der Kraftwerk-Songs „Computerliebe“ und „Autobahn“. Laptop und das allgegenwärtige Smartphone werden zum handlichen Dauerslapstick. Tilla Kratochwil trägt einen großen Telefonhörer wie angekettet mit sich herum.
Der gefeierte Neubeginn gerät letztendlich für alle immer mehr zum Fluch. Die anfängliche Erfolgstrunkenheit weicht schnell allgemeiner Ernüchterung. Die „Generation Beißschiene“, eine wunderbar doppeldeutige Bezeichnung, hat bald ihre Bissigkeit verloren und leidet an Zahn-, Kopf- und Rückenschmerzen. Trotzdem scheint allen die Suche nach der entscheidenden „Idee, die es nicht gibt“ als alternativlos. Selbst der verordnete Ausgleich durch Laufen wird für Anne gleich wieder zum Projekt.
Wie in einem Albtraum trifft man sich irgendwann bei den anonymen Workaholics. An ein Aufhören ist aber nicht mehr zu denken. Für den Erfolg macht Anne einfach immer weiter und bezahlt den Preis dafür. Einen Tod muss man schließlich sterben. Das es gerade Holger trifft, verwundert dabei nicht, sind doch Angehörige von Süchtigen aller Art selbst akut gefährdet. Für Anne geschieht auch das wie immer gerade jetzt zur unpassenden Zeit. Es fällt ihr sogar erst nach 36 Stunden wirklich auf. Von Peters x-Freunde-Projekt bleibt schließlich nur mehr der Staub der Steine, zugleich Grabmahl und Asche seiner auf der Strecke gebliebenen Freundschaft zu Holger. Und selbst diese Niederlage lässt sich in einem nach immer Ausgefallenerem süchtigen Kunstbetrieb wie ein Erfolg feiern.
Die Laudatorin des 2009 an Felicia Zeller verliehenen Clemens-Brentano-Preises, Katja Lange-Müller, attestierte der Autorin im wahrsten Sinne des Wortes, aus Scheiße Bonbons machen zu können. Das Team um Stephan Thiel verarbeitet diese neue Steilvorlage nach allen Regeln der Kunst zu geradezu süchtigmachenden Pralinés. Bitte unbedingt weiter machen, denn auch wir zahlen gerne den Preis dafür.
www.livekritik.de – von Stefan Bock am 16.04.2013