HOLD SOMEONE LIABLE

– Sperr deinen Chef ein

mit: KARIN WERNER, CLAUDIA WIEDEMER, JOSIP CULJAK und THEO PLAKOUDAKIS

Idee und Co-Regie: FLORIAN BERGER

Bühne: PAUL BAUER

Kostüme: CHRISTIANE HERCHER

Produktion: UWE LEHR

Premiere am 24. JANUAR 2013 im LOFFT.Leipzig

Leipziger Volkszeitung

Ein Stück über Macht und Ohnmacht im Lofft: In Stephan Thiels „Hold Someone Liable“ wird ein Firmenchef zur Geisel der Arbeitnehmer

Die Simulation ist perfekt. Wer nach dem Lofft-Besuch die dort erwähnte Adresse in die Kopfleiste gibt (www.leneto.de), landet auf der geschickt gestalteten Webseite einer Firma, die elektronische Baugruppen für die Autoindustrie fertigt – und die den Umzug nach Tschechien bekanntgibt. Erst der virtuelle Publikumsjoker, das Googeln, enttarnt mangels Trefferquote das Ganze als Fake. Eine clevere Lofft-Nummer zur Inszenierung „Hold Someone Liable“, die am Donnerstag Premiere feierte.

In gewisser Weise existiert Leneto dennoch – hinter Namen wie Adam Opel AG zum Beispiel oder Schlecker, auch als Commerzbank, die gerade den personellen Kahlschlag verkündet. Täglich spielt die Gegenwart dem Stück von Stephan Thiel in die Hände. So bekommt die Geschichte um ein Unternehmen, das zwecks Gewinnoptimierung sein Berliner Werk schließt und den Produktionsschwerpunkt ins Ausland verlagert, etwas Dokumentarisches, liefert den Abriss einer Schicksals-Inszenierung, die sich in Chefetagen und Belegschaften abspielt.

In den stärksten Momenten pflanzen Karin Werner, Josip Culjak, Theo Plakoudakis und Claudia Wiedemer die Existenzangst des Personals ins Publikum, machen Verzweiflung und Zermürbung fühlbar – immer wieder aufgebrochen von unalberner, doppelbödiger Komik, die mit Begriffen spielt, gern auch mit der eigenen der Theatersprache („0h – die vierte Wand!“).

Im sparsamen Quadrat-Gefüge aus vier Stoffwänden entsteht ein Kammerspiel um eine Hängepartie, die nur in der Win-Lose-Konstellation enden kann. Die Leneto-Beschäftigten erfahren aus den Medien, dass ihr Berliner Werk dicht machen soll – und sperren den Chef ein, um Verhandlungsspielraum zu erzwingen. Jeder der vier Darsteller übernimmt die Rolle des Gefangenen, gibt ihm dadurch wechselndes Verhalten zwischen Eiseskälte und sympathischen Anwandlungen, gibt ihm Wut bis Ratlosigkeit, denn auch diese Figur namens Meinhardt ist auf Diskretion von oben – aus London – angewiesen.

Thiels anderer Inszenierungskniff schafft eine Ebene, die den Zuschauern Stimmrecht gibt: Per vorher verteilter Karte dürfen sie entscheiden, ob beispielsweise die Nähe zwischen Martin und Heike über das Umarmen hinaus geht. Und ob die Geiselnehmer das Abfindungsangebot annehmen oder weiterkämpfen sollten. Plötzlich wird eigene Grundsatzhaltung abgefragt – bevorzugt man Sicherheit oder Risiko? beweist man Realitätssinn oder Idealismus?

Natürlich bleiben bei dieser Konstruktion hoher Moralisierungsgehalt und Plakatives nicht aus, zielt das Ganze auf Solidarität mit den Opfern. „Hold Someone Liable“ ist dennoch ein sehenswertes Stück Erzähltheater mit starken Schauspielern über die Arroganz der macht, die Verzweiflung der Ohnmacht und einen zweifelhaften Erfolg: Am Ende betrügen sich die Geiselnehmer, indem sie eine vergleichsweise lächerliche Abfindung von 80 000 Euro als Sieg feiern. Ein Sieg auf verlorenem Posten. Mark Daniel