Es irrt der Mensch, solang er strebt.
mit: TILLA KRATOCHWIL und DAN PELLEG
Text: TILLA KRATOCHWIL und STEPHAN THIEL
mit Beiträgen von KAI GREHN, MARK JACKSON, DAN PELLEG, TARA MAURITZ und J.W. GOETHE
musikalische Bearbeitung: MARKUS HÜBNER und DAN PELLEG
Tanzcoach: DAN PELLEG
Produktion: UWE LEHR
Premiere am 21. OKTOBER 2010 im LOFFT Leipzig, Koproduktion von Theaterkosmos53, LOFFT Leipzig und sophiensaele Berlin
Leipziger Volkszeitung
Wer immer strebend sich bemüht…
Ein guter Intellektueller hat noch nie Britney Spears`Musik gehört, aber natürlich im Feuilleton über sie gelesen. Und was sagt „Faust“ den bildungsfernen Schichten? Zumindest der Name ist bekannt. Wahre Prominenz strahlt in die verschiedensten Milieus. Der Gott des einen taugt dem andern mindestens als Reizwort.
Über diese verdeckte Naht fährt der Finger der „Britney Britney“-Inszenierung von Theaterkosmos53 und prüft im Lofft, wo das heiße Höschen der Popdiva mit dem Talar des Gelehrten sich unbewußt verschwägert . Der Abend ist eine große Materialschau, aus der das Publikum sein lehrreiches Vergnügen zieht.
Alles beginnt mit einer szenischen Behauptung: Was dem alten Faust sein Mephistopheles ist der Britney ihr Personal Trainer. Das funktioniert, denn dieser Belzebub hat schon mal die heißeren Höschen an.
Dan Pelleg, der jedem Frauenmagazin als Coverboy aushelfen könnte, stülpt sich eine Mickey-Mouse-Maske über und lullt die gute Britney ein in den Traum des Goldes und der Gier. Ein simples, aber auch archaisches Bild, mit dem Stephan Thiels Regie das Kammerspiel eröffnet. Und es bewährt sich, weil dieser Teufel mit jeder Minute mehr oszilliert; ganz so, wie auch der Bildungsbürger seinen Mephisto schätzt. Der moderne Luzifer ist zuallererst ein Tänzer, er verwindet sich, wandelt sich in alle Zwänge, die dem Popsternchen das Leben vergällen: Pelleg ist die ewige Konkurrenz des Trainers, er ist der untergründige Neid, den der Fan seinem Idol entgegenbringt und schließlich der Triumph der Kulturindustrie, die erst ruht, wenn der Goldesel sich selber das Fell über die Ohren gezogen hat.
Tilla Kratochwil ist das Opfer. In schönem Widerspruch zum schicken Teufel formuliert bereits der kleine, gelebte Körper der Schauspielerin, was nur zwingend ist:
Dieses Spiel über Britney ist ein Spiel über jeden Menschen, der sich selber nicht mehr einordnen kann(…)
Zäh, erruptiv und präzise, mit einem Witz, der ihr im Fleisch zu stecken scheint und deshalb nicht gespielt werden muß, zieht Tilla Kratochwil ihre Kreise in der Ödlandschaft des öffentlichen Ruhms. Freilich bleibt ihr am Ende nur noch die Kopie einer Pose: einmal die Zunge so rausstrecken können wie Mick Jagger. Man wünscht ihr sehr, es möge gelingen.
Dresdner Neueste Nachrichten
Das Janusgesicht des Showbiz
Dass es selten ein gutes Ende nimmt, wenn man seine Seele dem Teufel verschreibt, weiß der Theaterbesucher spätestens seit Goethes „Faust“. Die Theatergruppe „theaterkosmos53“ hat in dem Popsterntney Spears eine neuerliche Entsprechung zur alten Faustfigur entdeckt und ihre Fassung mit dem Text von Tilla Kratochwil und Stephan Thiel am Projekttheater vorgestellt.
Aber hatte es der Faust nicht auf die Erkenntnis dessen abgesehen, „was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält“? Das wird man vordergründig nicht mit Britney Spears verbinden. Und doch überzeugt das szenische Konzept der Gruppe, das Britney in ihrem Wunsch nach Berühmtheit gefangen und gnadenlos vernutzt im Showbiz zeigt.
Alles beginnt in einem Moment, als das Kind (T. Kratochwil) über ein Traumleben in den geordneten Verhältnissen der amerikanischen Provinz, mit Häuschen, Freunden und Barbecue nachdenkt und ihr sogleich der Teufel (Dan Pelleg) erscheint. Der ist eine komödiantische Verfremdung zwischen Jungathlet und Mickey-Mouse und bietet einen verführerischen Kontrakt an: Sie wird mit seiner Hilfe berühmt, hört nie auf zu streben, also zu trainieren und zu tanzen, und verkauft ihm dafür ihre Seele. Natürlich nimmt sie an. Und so wird sie berühmt und tanzt und singt.
Sie lässt sich von ihrem Tanzlehrer, der zugleich eine Ähnlichkeit mit dem Teufel hat, tagaus tagein bis zur Erschöpfung trimmen und in die immergleichen Bewegungsabläufe und Posen der so glänzenden wie stereotypen Choreographien zwängen. Das Leben findet freilich woanders statt.
Auf der Bühne wird die Geschichte von „theaterkosmos53“ vieldimensional als sportives Kammerstück und anspruchsvoll komponierte Collage umgesetzt – eine Mischung aus Schauspiel, Tanz, Pantomime und Live-Konzert, die quasi musikalisch von verschiedenen Impulsen, Bewegungsformeln und Rhythmen strukturiert wird.
Auch der Zuschauer wird einbezogen und bekommt, nachdem über die musikalischen Finessen der Songs aufgeklärt wurde, Gelegenheit, ein paar trickreich ins Ohr gehende Tonfolgen mitzusingen.
Es mussss nicht Britney Spears sein, die Geschichte erhält eine allgemeinere Gültigkeit und zeigt so auf eindrückliche Weise das Janusgesicht der modernen „Kulturindustrie“ – aus glamourösem Starkult und schonungsloser Vernutzung.