von Dawn King
mit: Delia Rachel Bauen, Felix Bronkalla, Roberta Monção, Joscha Schönhaus
Ausstattung: Halina Kratochwil – Dramaturgie: Alice Asper – Assistenz: Sophie Froidevaux
Premiere am 16. Mai 2025 am Landestheater Schwaben in Memmingen




Fotos: Karl Forster
DEUTSCHE BÜHNE
Manfred Jahnke – 17. Mai 2025
Stephan Thiel inszeniert am Landestheater Schwaben Dawn Kings „Chiffren“.
In dem Stück treffen Geheimdienstintrigen auf Familienbande. Erfahrungen und Ermittlungen, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Am Ende bleibt unklar, was die ganze Wahrheit ist.
In „Chiffren“ spielt die junge britische Autorin Dawn King raffiniert mit den Elementen eines Spionagethrillers. Das Vielsprachentalent Justine verdingt sich dem englischen Geheimdienst. Sie soll auf der Suche nach einem Terroristen Kareem ausfragen und landet nach dessen Verschwinden bei einem russischen Diplomaten, der wiederum auch als Spion arbeitet. Als sie tot in ihrem Zimmer aufgefunden wird, wird Selbstmord vermutet. Die Schwester von Justine, Kerry, glaubt nicht daran und macht sich auf eine schwierige Spurensuche.
Im Strudel der Zeit
King erzählt nicht linear, sondern in Sprüngen. Gegenwart und Vergangenes werden kräftig gemixt, viele Spuren ausgelegt, bis sich am Ende der Tod von Justine als Eifersuchtsdrama auflöst: Anoushka zwingt sie, Gin mit Gift zu trinken, denn Justine hat sich in den Künstler Kai verliebt. Der ist aber eigentlich schon mit Anoushka verheiratet und will sie für Justine verlassen. Die wiederum hat auf Druck von Sunita, ihrer Vorgesetzten beim britischen Geheimdienst, schon auf ihre Liebe verzichtet. So, wie King ständig zwischen den Zeitebenen springt, so wechselt sie auch ständig die Erzählperspektiven. Dabei schält sich mehr und mehr die Sicht von Kerry heraus, die herauszufinden versucht, was mit ihrer Schwester passiert ist. Sie muss dabei feststellen, dass sie kaum etwas vom Leben Justines wusste: Wer war sie?
Um das Spiel mit den Identitäten voranzutreiben, arbeitet King mit Doppelrollen. So werden Justine und Kerry von einer Spielerin vorgeführt. Mit diesem Kunstgriff gelingt es der Autorin eine flirrende Spannung zu schaffen: Identitäten lassen sich kaum mehr fassen, zumal ein hohes Spieltempo vorherrscht. Das Bühnenbild von Halina Kratochwil – auf einem weißen Podest stehen zwei weiße Säulen – scheint einen schnellen Zugriff zu unterstützen. Im Verlauf des Spiels erweisen sich diese Säulen in einer aufwändigen Umbau-Choreografie als zwei rechteckige Wände, die vom Ensemble in wilden Kreisen bewegt werden, um neue Räume zu schaffen. Die Regie von Stephan Thiel am Landestheater Schwaben entwickelt dabei zu harten rhythmischen Klängen ein Bewegungsritual, das sich zu verselbständigen droht.
Ensemble in vollem Einsatz
Mit Begeisterung wirft sich das junge Memminger Ensemble auf diese Choreografie. Delia Rachel Bauen spielt das Doppel Justine/Kerry. Justine im Military-Look (Kostüme: Halina Kratochwil); Kerry ohne Jacke und mit offenem Haar und viel emotionaler als die Schwester. Als Justine wirkt sie zunächst sehr zurückhaltend, moralisierend nach dem Verschwinden Kareems. Bis ihr dann in der Begegnung mit Kai zärtliche Momente gelingen. Bei Koplov, dem russischen Diplomaten, wirkt sie durch ihr Sexappeal: Kurz, in ihren Verhaltensweisen passt sie sich chamäleonartig ihrem jeweiligen Partner oder ihrer Partnerin an. Die Rolle als Kerry wird währenddessen durch die Suche nach den Gründen für den Tod ihrer Schwester bestimmt.
Roberta Monção spielt die Geheimdienstchefin Sunita aus überlegener Distanz. Als Anoushka ist sie eine argwöhnische Ehefrau, die genau weiß, was sie für ihre Ehe tun muss. Felix Bronkalla verkörpert als Kareem einen Mann, der dem Ansinnen des Geheimdienstes zu widerstehen versucht, dann gebrochen nachgibt. Als Künstler Kai spielt er den hemdsärmeligen Kumpel, der zwischen Ehefrau und Geliebten zappelt. Die Doppelrolle Peter/Koplov ist mit Joscha Schönhaus besetzt. Besonders dem russischen Diplomaten gibt er wunderbar aasige Töne.
Gegen Ende findet die Inszenierung von Stephan Thiel ein starkes Bild: Er konfrontiert Kerry mit den Bildern ihrer Schwester, Erinnerung wird gegenwärtig, zerfließt zugleich wieder.
Kurier Memmingen
Landestheater Schwaben-Premiere „Chiffren“ spielt mit Unsicherheiten
Tom Otto – 25.5.2025
War es Selbstmord oder Mord? Delia Rachel Bauen spielt die beiden Schwestern im Stück, hier in der Rolle der Kerry, die versucht den Tod ihrer Schwester aufzuklären. © Karl Forster
Mit dem Schauspiel „Chiffren“ präsentiert das Landestheater Schwaben (LTS) einen Spionagethriller als letzte Premiere in dieser Spielzeit 2024/2025.
Memmingen – Dass bei diesem Genre nur selten klar ist, was Fakt und was Fake ist, liegt auf der Hand. Doch dass sich die Welt als eine auf Lug und Trug gebaute Schein-Realität zeigt, ist dem gelungenen Zusammenspiel von Regie (Stephan Thiel), Bühnenbild und Besetzung geschuldet.
Die britische Autorin Dawn King hat das Stück vor rund zehn Jahren geschrieben. Damals gab es noch keinen Ukraine-Krieg, keine Zeitenwende und Rollen, die Russen auf der Bühne als Menschen zeigen, waren noch mehr oder weniger normal. Als sich die junge, vielsprachige Justine als Spionin beim britischen und russischen Geheimdienst bewirbt, klingt das Frage-und Antwortspiel der Bewerbung in russischer Sprache fast schon wieder versöhnlich, wenn man es aus der heutigen kriegstüchtigen Zeit hört.
Acht Figuren werden von vier Schauspielern dargestellt. Der Wechsel auf der Zeitachse, die unvorhersehbaren Episoden zwischen Vor- und Rückblende in den Dialogen verleihen dem Stück eine Dynamik, die die Undurchsichtigkeit der Wahrheit unterstreicht. Die fehlende Stille und Besinnung erschwert das Erkennen. Das spürt auch Kerry, Justines Schwester, als sie dem mysteriösen Tod ihrer Schwester auf der Spur ist.
Delia Rachel Bauen in der Doppelrolle der beiden Schwestern überzeugt absolut in der Darstellung der unterschiedlichen Charaktere. Sie passt sich in ihren Verhaltensweisen den Rollenerfordernissen wie ein Chamäleon an. Felix Bronkalla, der sowohl den angstgetriebenen Sozialarbeiter Kareem als auch den eher verwöhnten Künstler Kai spielt, glänzt in der Ausübung seiner Berufskunst, wie auch Roberta Monção in den Rollen als Geheimdienstchefin und als schräge, reiche Künstlerehefrau. Obendrein überzeugt Joscha Schönhaus als korrekter, steifer russischer Botschafter und Geheimdienstler sowie als besorgter Bruder der beiden unterschiedlichen Schwestern.
Selbst das Bühnenbild von Halina Kratochwil mit den beiden rechtwinkeligen, drehbaren Wänden – die sich doch immer nur um eine feststehende Achse drehen – unterstützt das Verwirrspiel durch passende Lichteffekte hervorragend.
Das Stück verunsichert, weil es gelernte Klarheiten beseitigt. Staaten kennen keine Freundschaft untereinander – allenfalls eine fragile interessenbedingte Zusammenarbeit. Dass es bei den Geheimdiensten, wie bei anderen staatlichen Organen, zwischen den dort Beschäftigten ebenso zugeht, liegt auf der Hand. Für tiefgehende Gefühle ist kein Platz. Für romantisierende ohnehin nicht.
Die Familienbande widersteht den Geheimdienstintrigen nicht. Am Ende wissen wir nichts. War es doch nur ein „einfacher“ Mord aus Eifersucht? Die Wahrheit zu erfassen, ist eh nicht möglich; das intelligente und unterhaltende Schauspiel anzusehen schon: Im Großen Haus des LTS am 4. und 5. Juni 2025.
LOKALE MEMMINGEN – 17.5.2025
Spionage-Thriller am Landestheater – Gelungenes Verwirrspiel in „Chiffren“ von Dawn King
Das Landestheater Schwaben bringt „Chiffren“ von Dawn King auf die Bühne. Eine moderne Inszenierung, die den Zuschauer in die Welt der Geheimdienste entführt und doch viele Fragen offenlässt.
Die junge Justine hat sich umgebracht. Oder doch nicht? Die Doppelagentin beging vermutlich Selbstmord, aber ihre Schwester Kerry hegt Zweifel an der Darstellung und möchte den Dingen auf den Grund gehen. Die Polizei tappt im Dunkeln. Kerry sieht einen Zusammenhang mit der britischen Regierung, für die ihre Schwester offiziell gearbeitet hat und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, wodurch sich das Leben von Justine in alle Richtungen offenbart.
Gewünschte Verwirrung
Der Zuschauer wird in dem zweieinhalbstündigen Stück durch immer wiederkehrende Zeitsprünge und einem umfangreichen Konstrukt an möglichen Tatverdächtigen gefordert und erlebt ein abwechslungsreiches Szenario zwischen den Welten des knallharten Spionage-Alltags und einer jungen Frau, die eigentlich nur auf der Suche nach etwas ist „das was bedeutet“.
Vier Darstellende in acht Rollen treiben die Verwirrung zwischen Realität und Täuschung weiter an und laden zum Hinterfragen ein.
Grandiose Leistung
Alle Rollen wurden mit viel Liebe zum Detail auf die Bühne gebracht. Vor allem Roberta Moncao schaffte es, mit ihrer Rolle als Sunita, trotz spannender Thriller-Atmosphäre, dem Zuschauer den ein oder anderen Lacher zu entlocken.
Hauptdarstellerin Delia Rachel Bauen in den Rollen der Justine und ihrer Schwester Kerry spielte sehr überzeugend und nahm den Zuschauer von Anfang bis Ende auf der Welle verschiedenster Emotionen mit.
Modernes Bühnenbild
Das Bühnenbild war genauso schlicht wie flexibel. Zwei einfache graue Eckwände, die beliebig gedreht werden konnten, simulierten die verschiedenen Räumlichkeiten und auch die Zeitsprünge. Mit Licht- Ton- und Videotechnik kam somit ein modernes und dem Stück entsprechendes Bühnenbild zustande.
Viele Fragen bleiben offen
Mit kräftigem Applaus bekundete das Publikum seine Anerkennung, bleibt aber mit vielen offenen Fragen zurück. Und das durchaus gewollt. Ein Stück, das zum Nachdenken anregt und sicherlich nicht so schnell vergessen wird.