von Sibylle Berg
mit: Oliver Chomik, Timo Hastenpflug, Konstantin Marsch, Marie Ulbricht, Alexander von Säbel, Philipp Quest, Sonka Vogt, Sybille Weiser
Bühne und Kostüme: Christiane Hercher
Premiere am 6. FEBRUAR 2016 im Theater Magdeburg
Fotos: Andreas Lander
Groteskes aus der Arbeitswelt
Von Claudia Klupsch, Magdeburger Volksstimme, 08.02.2016
Arbeit ist nicht nur das halbe Leben. Arbeit ist alles.
Brüche in Form von Jobverlust darf es nicht geben. Arbeitslosigkeit
und gar Abrutschen in Hartz IV sind hierzulande zu einer Urangst
geworden. „Hauptsache Arbeit!“ ist keine Wunschäußerung, sondern
Stoßgebet.
Alles könnte so schön sein. Die Firma hat für die Jahresabschlussfete
einen Vergnügungsdampfer gechartert. Versprochen ist ein Buffet mit
„biologischen Tieren“ und „vielleicht hat man noch Verkehr“. Doch der
Boss verkündet Furchtbares: Zum Wohle der Bilanzen muss Personal
„freigesetzt“ werden. Wer sich heute am besten „verkauft“, bleibt. Wer
in diversen Spielen verliert, fliegt raus. Ein Kampf jeder gegen jeden
entbrennt. Das Luxusschiff wird zum Todeskahn.
Namenlos, ersetzbar, egal
Dass es eine Versicherungsgesellschaft ist, deren klischeebehaftete
Interna freigelegt werden, mag zunächst beruhigen. Regisseur
Stephan Thiel hat eine Textvorlage umzusetzen, die beobachtend und
wertend menschliche Entfremdung durch Arbeit klarmacht. Er hat
weniger Dialoge als vielmehr selbstreflektierende Monologe und nicht
zueinder passen wollende Einwürfe zur Verfügung, um mit seinen
Schauspielern Charaktere herauszuarbeiten. Nicht von ungefähr sind
die Angestellten namenlos.
Der Mensch in der Arbeitswelt – namenlos,ersetzbar, egal.
Nähe zu den Figuren ist dann auch schwer zu entwickeln. Selbst
wenn sie sich bei Preisgabe ihres Innersten erniedrigen, kommt kein
Mitgefühl auf. Es herrscht Blutleere – trotz bzw. wegen
schauspielerischen Könnens. Das der Frauen sticht hervor. Sonka
Vogt zeigt das zarte Sensibelchen, das vom indischen Prinzen träumt
und doch erbarmungslos im „Angsthasenspiel“ ihrem Kollegen
tödliche Stromstöße verpasst. Sybille Weiser macht die vom Leben
enttäuschte Frau glaubhaft, die jubelt, als sie siegreich Schläge
austeilt.
Die männlichen Figuren sind von Selbstzweifeln zerfressen. Alexander
von Säbel zeigt die Angst des Angestellten vor Verlust an Struktur. Er
legt sich unzählige Schwimmwesten zum Schutz vor Mobbing an.
Philipp Quest macht deutlich, was die Panik mit einem anstellt, nicht
mehr fit und sportlich genug für den Job zu sein. Oliver Chomik
verkörpert den um seine tödlich verunglückte Frau Trauernden auf der
sinnlosen Suche nach Sinn.
Alle sind sie ausgeliefert. Konstantin Marsch spielt das miese Schwein
vom Chef im blütenweißen Anzug, der seine Angestellten verachtet
und Frauen hasst. Die bös verzerrte „König-der-Welt-Szene“ aus
„Titanic“, die sich auf der von Ausstatterin Christiane Hercher
realistischen Planken- und Reling-Bühne abspielt, zeigt all seine
perverse Verrohung. Der abstoßenden Figuren nicht genug. Ratten!
Marie Ulbricht und Timo Hastenpflug geben sie als widerliche in
engen Leder-Anzügen gekleidete Gestalten. Sie schüren den Kampf
und kommentieren die trostlose Lage der Angestellten („Ein Leben
kann doch nicht in einem Großraumbüro stattfinden.“). Marie Ulbricht
brilliert als „Motivationstrainer“, lässt aus den Augen Bösartigkeit und
Menschenverachtung blitzen. „Das Tier ist in euch! Ihr werdet euch
alle hassen!“, hetzt die Ratte die Menschen aufeinander.
Wie es sich für eine Groteske gehört, ist alles absurd übertrieben und
zugespitzt. Thiel setzt dies auch szenisch wirkungsvoll um. Allerdings
bleibt das Lachen nicht im Halse stecken, es kommt gar nicht erst auf.
Wenn sich die Figuren gegenseitig mit Stromstößen malträtieren und
sich zuckend im Schmerze wälzen, ist das nur verstörend.
Sind wir alle Zombies, Untote, als solche Thiel die Personen im
linkischen Tanze erscheinen lässt? Wie viel Würde sind wir bereit zu
opfern, wie viel Kollegialität zu vergessen, wenn es um unseren Job
geht, abhängig, wie wir von ihm sind, sinn- und selbstwertstiftend?
Obwohl der Text allerhand Plattitüden enthält, die Emotionalität und
Tiefe blockieren, so regt er doch an, Lebensideale zu hinterfragen. Ist
Arbeit wirklich alles? Sitzen wir das Leben ab im Warten auf die
Rente?
Mag derjenige aufatmen, der feststellt, nicht in solchen Verhältnissen
zu arbeiten wie auf der Bühne übertrieben angedeutet. Allen anderen
sei geraten:
Mut zur Veränderung!