STEPHAN THIEL

FUNDAMENT

von Jan Neumann

 

mit THOMAS GEORGIADIS, CHRISTINE MERTENS, NORA WIEL und THOMAS WITTE

Ausstattung CHRISTIANE HERCHER

 

Premiere 2. FEBRUAR 2011

Gostner Hoftheater Nürnberg

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Nürnberger Zeitung

Schicksale hinter den Nachrichten

Ein leerer Bühnenraum, eine Frau, zwei Männer. Erste Lockerungsübungen, Stimmübungen, Warten. Dann kommt Bewegung ins Spiel. Eine zweite Frau stürzt herein. In einem ständigen Hin und Her werden Stühle herangeschleppt, die Bühne füllt sich. Rhythmisches Sprechen im Stil des epischen Theaters, die Erzähler wechseln, nehmen den Faden des Vorredners auf und spinnen ihn weiter.
In einer Mischung aus detailgenauer Erzählung, Monologen und Dialogen entsteht schließlich ein dokumentarischer Bericht vom Sprengstoffanschlag auf den Hauptbahnhof einer großen Stadt – und von seinen Opfern.

Das bestürzend aktuelle Stück „Fundament“ von Jan Neumann hatte am Mittwoch unter viel Beifall im Gostner Hoftheater in Zusammenarbeit mit dem Berliner Theater unterm Dach seine Premiere. „Fundament“ ist ein Spiegel unserer Zeit und wirft Schlaglichter auf unterschiedliche Lebensentwürfe aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten.Da ist der einsame Frührentner auf der Suche nach Gesellschaft. In endlosen Monologen nervt er die Mitreisenden im Zugabteil mit seinen Kalauern quer durch sämtliche Weltreligionen. Dann die engagierte Studentin aus der WG, die sich für „irgend etwas grundsätzlich politisch“ einsetzen will, aber angesichts der unendlich vielen globalen Probleme am Ende den Überblick verliert. Oder die Single-Frau mittleren Alters, die angesichts des Todes gefühllos bleibt, wie damals am Sterbebett des Vaters. Typisch auch der kabarettistisch überzeichnete Inhaber einer Werbeagentur mit seinem rundum perfekten Leben, dem einfach alles spielend gelingt. Bis auch er sich, wie die anderen, zur falschen Zeit am falschen Ort befindet.Die spritzige, temporeiche Inszenierung von Stephan Thiel fesselt bis zum Schluss. Trotz des Grauens angesichts des Terrors steht hier nicht nur Betroffenheit im Fokus. Gerade durch Ironie, Satire, Humor und Situationskomik – ja, auch durch Klischees, mit denen gespielt wird – berührt das ernste Thema umso mehr. Sehr passend der schlichte, nüchterne Bühnenraum von Christiane Hercher, der die Leere und Sinnsuche augenfällig macht. Durch Umgruppierung der Stühle entstehen mit einfachsten Mitteln neue Räume.

„Fundament“ bildet ein Stück unserer Realität ab. Wir erfahren von den Schicksalen hinter den täglichen Nachrichten im Fernsehen. Ein bewegender Theaterabend. 

Nürnberger Abendzeitung

Attackierende Absurdität

Zuerst werden auf leerer Bühne außer den Muskeln ebenso die Zungen gelockert, was wenig später nicht nur der Sprache hilft, sondern auch bei der ersten Darstellung von Erotik sehr nützlich sein wird. Dann schleppen die vier handelnden Personen, immer wieder unterbrochen von sichernden Blicken ins Ungewisse und gestammeltem „Tschuldigung“, Unmengen von Stühlen herbei. Völlig außer Atem begrüßen sie sich endlich – und stimmen die erste Botschaft des Abends an: „Wenn alle Brünnlein fließen“. In Jan Neumanns „Fundament“, einer satirisch umhäkelten Textfläche aus festgeklopften Proben-Improvisationen, geht es bei Stephan Thiels Inszenierung am Gostner Hoftheater um Existenzfragen mit und ohne Knalleffekt. Zwischen Benefiz-Gläubigkeit und Sprenggürtel-Erlösung darf erschaudernd über den Sinn des Über-Lebens gelacht werden. Die Kollektiv-Erzähler, die bei Bedarf auf Solo-Rollen umsteigen, bitten zur Großstadt-Reportage am Bahnhof und können auch griechischen Chor. Etwa, wenn sie gemeinsam die Demuts-Floskeln des DB-Zugführers wie ein Gedicht aufsagen. Verspätung/Verständnis, ganz klarer Fall von poetischer Begriffs-Paarung.
(...)

Unterbrochen wird die Typen-Parade vom sanftgiftig querschlagenden Schauspieler-Gesang (Thomas Georgiadis, Christine Mertens und Nora Wiel würden jeden Madrigalchor mit Beitrittsformularen wedeln lassen) und dem ganz anderen Geräusch der alles vernichtenden Selbstmord-Attentäter.
Regisseur Stephan Thiel hat den vieldeutig witzelnden, vom eigenen Tiefsinn nicht recht überzeugten Text mit dem gedankenflitzenden Sketch-„Fundament“ sehr geschickt ins Spielerische gedrängt. Da züngelt der Spott an den Szenen-Klischees, sofern die Zungen nicht grade sowieso als Sex-Stilisierung zwischen den Lippen flattern, und die größte Detonation folgt dem Ruf nach „Moral“ wie zum Hohn auf eine defekte Welt. Da stürzen auch die Stühle aus ihrer Reihen-Ordnung. Aber der Trost bleibt, Gesang salbt alle Wunden. Wer das nicht als Philosophie im freien Fall, als alles attackierende Absurdität sieht, kann sich bestens amüsieren übers Gostner-Untergangs-Quartett. Bei der Premiere entschied sich das Publikum eindeutig dafür – und applaudierte begeistert.