mit:
Thomas Deubel, Michael Hinze, Miriam Kohler, Anne Rab, Thomas Zerck und Armin Zarbock
Ausstattung Christiane Hercher
Regieassistenz Karsten Kriesel
Premiere am 10. August 2022 in der Moritzbastein Leipzig
Eine Produktion der Theaterturbine Leipzig
Fotos: Karsten Kriesel
Wo der Hase die Locken hat
Leipziger Volkszeitung, 12 Aug 2022, Von Janina Fleischer
Umjubelte Premiere: Im Sommertheater der Moritzbastei bringt die Theaterturbine die Komödie „Mein Freund F.R.E.D.“auf die Bühne.
Nach zwei Stunden hat man sie alle ins Herz geschlossen. Obwohl die Macken und Defizite auf dem Tisch liegen. Beziehungsweise: weil. Weil auch die Sehnsüchte ausgesprochen sind, die ja immer helfen, einen Menschen zu verstehen. Sogar einen, der gar keiner ist. „Mein Freund F.R.E.D.“heißt die Sommerinszenierung der Theaterturbine, die am Mittwoch in der Leipziger Moritzbastei Premiere feierte, stürmisch bejubelt im ausverkauften Innenhof.
Gründe zur Freude gibt es ausreichend. Auch über das Bühnengerüst, das mit Hilfe eines Crowdfundings finanziert werden konnte. 4000 Euro waren nötig. Es bietet vor dem bei einsetzender Dämmerung effektvoll beleuchteten Gemäuer einen zweckmäßigen Rahmen als Schaltzentrale mit Schlafkojen (Bühne und Kostüm: Christine Hercher) für die anfangs zwei Darstellerinnen und drei Darsteller.
In einer Welt der mittelfernen Zukunft – angegeben wird das Jahr 2053, es könnte aber auch 2042 sein – ist familiärer Stress mit den religiösen Feiertagen abgeschafft. Beziehungen bestehen zwischen dem Versandhändler „Buyland“und seinen Kunden und werden gepflegt durch einen „Human Touch“. Den fügen die Packarbeiter den Lieferungen hinzu: etwas Persönliches, womit die Kunden nicht rechnen, das sie überrascht und erfreut. Quasi ein Paket gewordener Sozialkontakt. Wer eine Radkappe bestellt – was will der wirklich? Ja, wer Amazon sagt, muss auch Buyland mögen.
Da nur einmal im Jahr das Shoppingerlebnis„happy Week“ansteht, haben Angelika, Ulrike, Andreas, Stecker und Torben einander lange nicht gesehen. Sie tauschen Urlaubserfahrungen aus und stellen sich so dem Publikum vor. Der Theatermusiker Michael Hinze hat den Firmen-motivations-song und dramatischen Sound komponiert und spielt Stecker, eine Art Dispatcher. Für ihn ist die Welt technische Herausforderung und Leben im Virtuellen keine Bedrohung.
Torben hingegen (Thomas Deubel) liegt meistens auf seiner Matte, spielt mit einem Globus und träumt davon, eine Genossenschaft „von Menschen für Menschen“zu gründen. Deren Paradies sieht er auf einer Insel mit echter Natur, wie wir sie noch kannten. Ähnlich geht es Ulrike (Miriam Kohler), die in ihrem Hochhaus von der 93. in die 125. Etage gezogen ist, um „mehr Licht“zu haben. Sie vertraut auf Yoga und kennt sich mit Lebensenergie aus. Ihr „Human Touch“ist inspiriert von Einfühlung und Zuwendung.
Leider ist sie dadurch nicht angemessen schnell bei der Akkordarbeit des Verpackens, verursacht aber die wenigsten Reklamationen. Genau umgekehrt läuft es bei Angelika (Anne Rab), die Zahlen, Maschinen und Effizienz liebt und sich auf Emotionen keinen Reim machen kann.
Auf zerstreute Weise angeleitet wird die Zwangsgemeinschaft von
Abteilungsleiter Andreas (Publikumsliebling Armin Zarbock), der von Gefühlen für Ulrike ebenso überfordert ist wie von zielführend logischem Formulieren. Sie sind Konkurrenten, nicht mehr jung und brauchen das Geld. Eigentlich hätten sie gern mehr Zeit, bekommen aber nur mehr Druck.
Und dann kommt Fred. Thomas Zerck spielt ein hinreißendes Wesen, das wie ein Mensch aussieht, aber eine auf Nachahmung programmierte Maschine ist, die alles wörtlich nimmt. So spiegelt er die jeweiligen Eigenheiten der anderen, was in Überhöhung und Wiederholung zur Komik beiträgt. Darum kann viel gelacht werden in einer Inszenierung, in der Regisseur Stephan Thiel die Zuschauer zu Mitwissern macht und zu Verbündeten im Aufstand gegen Maschinen. Denn durch einen hübschen Zufall findet das Team heraus, was es mit Fred auf sich hat. Derart in Angst versetzt um ihren Job können sich die Figuren von einer anderen Seite zeigen. „Ich unterwerfe mich doch nicht einer fremden Roboterkultur“, sagt Andreas.
Den Text hat das ganze Ensemble entwickelt, er erzählt eine schnell zu erfassende Geschichte über die Preisgabe und Rückeroberung der Freiheit im mutierenden Kapitalismus. Im gut abgestimmten Tempo funktionieren die Pointen und das bewährte Mittel des Missverstehens, gewürzt mit falsch erinnerten Redewendungen. Torben weiß, „wo der Hase die Locken hat“, und sieht „Luft am Ende des Tunnels“.
Roboter in der Dienstleistungshölle
11.08.2022, KREUZER, Torben Ibs
Das Sommertheater von der Moritzbastei und der Theaterturbine stellt mit »Mein Freund F.R.E.D.« große Fragen mit viel Humor.
Eine nicht allzu ferne Zukunft, Menschen werden 200 Jahre alt, ziehen in den 125. Stock, um ein bisschen Licht zu bekommen und der größte Luxus ist Urlaub in einem echten Wald. Beziehungen sind schwierig, aber der Kapitalismus bei bester Gesundheit. Deshalb muss regelmäßig ein Team von fünf Leuten bei der Happy Week von Mega-Coorporation Buyland bei den Paketen für den »human touch« sorgen, also etwas Menschlichkeit in den sterilen Versand bringen – im Akkord natürlich. Doch plötzlich taucht aus dem Nichts ein neuer Kollege auf. Er lernt schnell, packt noch schneller, ist aber auch ein bisschen komisch und ungelenk. Irgendwas stimmt da nicht.
So das Setting für das aktuelle Sommertheaterstück »Mein Freund F.R.E.D.« von Moritzbastei und Theaterturbine, das am Mittwoch Premiere feierte. Wie immer gibt es dabei keinen fertigen Stücktext, sondern die Improvisateure der Turbine – in diesem Fall Miriam Kohler, Anne Rab, Thomas Deubel, Michael Hinze, Armin Zarbock und Thomas Zerck – haben ihn auf den Proben selbst entwickelt und dann zu einem komisch-ernsten Theaterabend zusammengedampft. Wo zunächst eine fast schon handelsübliche Dienstleistungsgesellschafts- und Kapitalismuskritik im Raume steht, so wendet sich doch mit dem Auftauchen von F.R.E.D. das Blatt. Denn er ist, auch wenn er das geheim halten will, ein Roboter aus einem Versuchsprogramm mit Emotionen. Ein Roboterkollege ist allerdings das Letzte, was die insgesamt eher dysfunktionale menschliche Arbeitscrew möchte, und so plant man die Demontage des Eindringlings – auch wenn F.R.E.D. die Menschen bald besser versteht als diese sich selbst.
Damit bewegt sich dieses Sommertheater an einer spannenden Frage der heutigen Zeit und einem Klassiker der Science-Fiction-Literatur, nämlich der beseelten Maschine, also wenn Maschinen ein Bewusstsein entwickeln. Doch das Sommertheater wäre nicht das Sommertheater, wenn es jetzt auf hochkomplizierte ethisch-philosophische Diskurse zurückgreifen würde. Im Gegenteil, die Turbinespielerinnen und -spieler brechen es mit viel Komik und einem außerordentlichen dramaturgischen Rhythmusgefühl auf handhabbare Handlungsbrocken herunter und erschaffen Figuren zum Knuddeln, die sich den ethischen Fragen im praktischen Schnelldurchlauf widmen. Viel wichtiger ist das immer körperbetonte Spiel, besonders Thomas Zerck als F.R.E.D. liefert da großartig ab, wenn er per Mikrowelle in den Standby versetzt wird und sich danach erst langsam wieder hochfahren muss.
Bühnen- und Kostümbildnerin Christiane Hercher hat den sechs ein übergroßes orangenes Billy-Regal auf die Bühne gestellt und alle in gleichfarbige Nicki-Uniformen gesteckt, die entfernt an die allererste Star-Trek-Staffel erinnern. Ein Mischpult und Keyboard dienen als Retro-Technik-Anleihen. Darüber legt Michael Hinze einen fast schon schwebenden Soundtrack mit allerlei Technik-Blubbern. Fast zwei Stunden lang toben die sechs nun über die Bühne, verwickeln sich in Slapstick, Technik-Behauptungen oder die klassischen zwischenmenschlichen Beziehungsbomben. Es entsteht ein vielschichtiges, aber nie kompliziertes Bühnenstück, das im Zweifelsfall keine Pointe liegen lässt. Das Ergebnis ist eine wunderbar leichtfüßige Theaterunterhaltung, die trotz aller Gags auch mit einem gewissen inhaltlichen Tiefgang daherkommt. Und am Ende sogar mit Happy End.